AVIVA-Berlin >
Public Affairs
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 08.07.2010
pro familia übt Kritik an Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2010
Miriam Hutter
Ab sofort dürfen selbst ernannte "LebensschützerInnen" wieder vor Frauenarztpraxen und Kliniken demonstrieren. Sie können Frauen auf dem Weg zur Praxis ungefragt belästigen und massiv auf sie...
... einreden, ihre Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch zu überdenken. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil die Weichen gestellt.
Nachdem im Januar 2010 auch das Abtreibungsgesetz schon einen Rückschlag erlitten hat (AVIVA-Berlin berichtete im Beitrag Backlash beim Abtreibungsrecht), das die Bedingungen für Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen erschwert hat, werden Frauen nun von anderer Seite aufs Neue bedrängt.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Falle des Abtreibungsgegners Klaus Günter Annen gegen den Frauenarzt Erik-C. Miller, wird die gerichtliche Untersagung von Protestaktionen gegen Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben. Diese Protestbekundungen, gegen welche die Frauen geschützt werden müssen, stellen pro familia zufolge "eklatante Verstöße gegen das Recht von Frauen" auf freien Zugang zu Praxen oder Kliniken dar, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden können.
Das Bundesverfassungsgericht begründete sein Urteil damit, dass es sich bei den Protestbekundigungen Annens um "wahre Tatsachenbehauptungen" handele. Dem Frauenarzt würde damit keine "strafrechtlich relevante", sondern lediglich eine aus Sicht des Beschwerdeführers "moralisch verwerfliche" Handlung vorgeworfen.
Das Landgericht München, an den der Fall zurückgegeben wurde, müsse zugunsten der "Lebensschützer" in der künftigen Rechtssprechung stärker berücksichtigen, dass "der Schwangerschaftsabbruch ein Gegenstand von wesentlichem öffentlichem Interesse" sei.
Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass für die Frauen durch vor den Kliniken protestierende Abreibungsgegner der Gang dorthin einem "Spießrutenlauf" gleichen könne. Nichtsdestotrotz spricht es sich aber dafür aus, dass das "verfassungsrechtlich tragfähige Verbot von bestimmten Formen von Protestaktionen" […] nur in Einzelfällen "zu stützen" sei.,
Das bedeutet im Klartext, dass in diesem Urteil Frauen- und Patientinnenrechte letztlich keine Rolle spielen. Die erlaubten "Protestaktionen" sind laut pro familia eklatante Verstöße gegen das Recht von Frauen auf ungehinderten Zugang zur Praxis oder Klinik, die gesetzlich nicht strafbare Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Durch das Aufheben des gerichtlichen Verbotes dürfen Frauen weiterhin mit emotional aufgeladenen Fotos und Abbildungen bedrängt, eingeschüchtert und in ihrer Privatsphäre verletzt werden.
"Diese Entscheidung des BVG und die daraus resultierenden Konsequenzen sind für uns nicht nachvollziehbar. Ausdrücklich weist das reformierte Gesetz Frauen die Entscheidung bei einer ungewollten oder nicht geplanten Schwangerschaft zu. Sie gilt es zu respektieren und nicht in belästigender und einschüchternder Weise in Frage zu stellen. Frauen treffen eine für sie und ihre Familie verantwortliche Entscheidung. Sie wurden – wie im Gesetz vorgeschrieben – von Fachkräften kompetent beraten, werden von ÄrztInnen ihres Vertrauens betreut und brauchen keine zusätzliche Einmischung! " so Prof. Dr. Daphne Hahn, Vorsitzende des pro familia-Bundesverbands.
Die belastende Einmischung durch AbtreibungsgegnerInnen könnte durch ein Demonstrationsverbot im Umkreis der Praxen und Kliniken, wie sie in anderen Ländern, z.B. in Kanada, Frankreich und Österreich existieren, verhindert werden.
Weitere Infos finden Sie unter:
www.bundesverfassungsgericht.de
www.profamilia.de
pro familia Pille danach Infotelefon
Rund um die Uhr erreichbar unter: 01805 - 77 63 26
Automatische Ansage in Deutsch, Türkisch, Englisch und Russisch
14 Cent pro Minute aus dem Festnetz der Deutschen Telekom
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Backlash beim Abtreibungsrecht
Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes im Frühjahr 2009
Ãœber pro familia:
pro familia ist Gründungsmitglied der IPPF und aktives Mitglied des Europäischen Netzwerks der IPPF. Seit 1952 setzt sich pro familia für die Interessen von Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Rechte ein. Heute gehört der Verband national wie europaweit zu den bedeutendsten nichtstaatlichen Dienstleistern der Sexualpädagogik, Familienplanungs-, Sexual- und Schwangerschaftsberatung. In den 180 Beratungsstellen in Deutschland finden Menschen aller Religionen und Nationalitäten fachlich qualifizierte Beratung und sexualpädagogische Unterstützung. Ein Schwerpunkt des Arbeitsprogramms ist die besondere Förderung und Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen in der Bevölkerung. Der pro familia-Bundesverband wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziell gefördert.
(Quellen: pro familia, Bundesverfassungsgericht)